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Glanz und Widerstand: Marlene Dietrich und die Unverhandelbare Pflicht

Marlene Dietrichs kompromisslose Ablehnung der Nazis und ihr Engagement an der Front – Eine Lektion in Anstand und im Kampf gegen Faschismus.

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Anna Ramskogler-Witt
04.12.2025

Am 27. Dezember 1901 wurde Marlene Dietrich in Berlin-Schöneberg geboren. Weltberühmt wurde sie durch Filmklassiker wie Shanghai Express, der sie 1932 endgültig zum internationalen Star machte, aber auch durch ihre Interpretation von Liedern wie dem Antikriegslied Sag mir, wo die Blumen sind. Stilikone, Filmstar, Sängerin, Geliebte, Diva – und zugleich eine Frau mit Haltung. Ihr Leben zeigt, wie sich künstlerische Strahlkraft und politischer Widerstand verbinden können, ohne dass das eine dem anderen weicht.

Marlene Dietrich begann ihre Karriere mit einer Ausbildung bei Max Reinhardt an den Kammerspielen. Ihre rauchige Stimme und den unverwechselbaren, lasziven Blick schärfte sie in den Nachtclubs, Revuen und Kabaretts der „Goldenen Zwanziger“. Parallel etablierte sie sich in der aufblühenden Filmindustrie: Ab 1923 folgten zahlreiche Rollen in Stummfilmen wie Tragödie der Liebe (Joe May) und Gefahren der Brautzeit (Fred Sauer) sowie frühen Tonfilmen wie Ich küsse Ihre Hand, Madame (Alexis Granowsky). In dieser Zeit perfektionierte sie ihre nonchalante, androgyn anmutende Eleganz – ein Stil, der zugleich eine Provokation und ein Versprechen von Freiheit war.

Der überwältigende Durchbruch kam 1930 als „Lola Lola“ in Josef von Sternbergs Film Der blaue Engel – und öffnete ihr die Türen nach Hollywood. Dieser filmische Höhepunkt war zugleich der Schlusspunkt ihrer Berliner Ära: Nur einen Tag nach der Premiere am 1. April 1930 verließ sie Deutschland. Sie kehrte später zwar zurück, aber nur als Gast, nicht mehr als Bürgerin.

Das Kalkül der Nazis und das Nein der Ikone

Nach Hitlers Machtergreifung 1933 sah Dietrich sofort Handlungsbedarf. Ihr Widerstand begann nicht leise und nicht zögernd, sondern aktiv und konkret: Bereits ab 1933 unterstützte sie gemeinsam mit dem Regisseur Ernst Lubitsch Verfolgte des Regimes. Sie nutzten ihre Netzwerke und Mittel, um einen informellen, aber wirksamen Fonds für Jüdinnen und Juden sowie politisch Verfolgte aufzubauen, materielle Hilfe zu leisten und Fluchtwege zu ermöglichen. Lubitsch, der selbst jüdische Wurzeln hatte und zu den ersten Exilanten in Hollywood zählte, führte diese konsequente moralische Reaktion später als Präsident des 1938 gegründeten European Film Fund formal fort.

Parallel dazu intensivierten die Nationalsozialisten ihre Bemühungen um den Weltstar. Propagandaminister Joseph Goebbels persönlich versuchte, Marlene Dietrich mit schwindelerregend lukrativen Angeboten ins „Reich“ zurückzulocken: freie Hand bei der Filmproduktion, die Garantie eines triumphalen Comebacks, maximale öffentliche Verehrung. Gerüchten zufolge wurde ihr sogar ein Triumphzug durch das Brandenburger Tor versprochen – ein symbolisches Spektakel, mit dem das Regime sich international schmücken wollte.

Die konnten mich nicht kriegen. Sie konnten mich nicht mal kaufen.
Marlene Dietrich

So fasste Dietrich ihre kompromisslose Verachtung später zusammen. Natürlich lehnte sie kategorisch ab. Ihre Haltung war unbestechlich. Den Triumphzug quittierte sie mit einer Bedingung, die die Moral des Regimes entlarvte: „Nur wenn mein Mann mitfahren darf.“ Ihr Mann Rudolf Sieber hatte jüdische Wurzeln. Mit dieser Forderung stellte sie die Nazis vor ein unlösbares Propagandadilemma – und machte klar, dass sie nicht nur „gegen“ die Nazis war, sondern „für“ die Menschen, die sie verfolgten.

Die Aufgabe der Staatsbürgerschaft und Kriegsdienst aus Prinzip

Nach Jahren des aktiven Exils und der Unterstützung für Verfolgte vollzog Marlene Dietrich 1939 den letzten formalen Schritt der Trennung: Sie legte die deutsche Staatsbürgerschaft ab und nahm die US-amerikanische an. Im nationalsozialistischen Deutschland galt ihre Haltung nun offiziell als Verrat. Das NS-Hetzblatt Der Stürmer reagierte prompt und verächtlich, indem es ihre Entscheidung in antisemitischer Logik deutete: „Die lange Verbindung der deutschen Schauspielerin Marlene Dietrich mit Juden hat ihren Charakter undeutsch gemacht.“

Dietrich wurde im „Dritten Reich“ als „Judenfreundin“ gebrandmarkt – eine Diffamierung, die sie jedoch als Bestätigung ihres moralischen Kompasses trug. In dieser Schmähung lag die unbeabsichtigte Anerkennung dessen, wofür sie stand: eine kompromisslose Klarheit im Kampf gegen Antisemitismus und politische Gewalt.

Statt für Hitler zu singen, trat Dietrich im Krieg an der Front für alliierte Soldaten auf und sprach im Radio gegen die Nazi-Propaganda. Ihr Einsatz war gefährlich, körperlich wie psychisch belastend, und dennoch unbeirrbar. Sie sang in Lazaretten und improvisierten Bühnen, oft in unmittelbarer Nähe zur Front, und wurde für viele Soldaten zu einem Symbol dessen, wofür sie kämpften.

Jungs, opfert euch nicht. Der Krieg ist doch Scheiße. Hitler ist ein Idiot.
Marlene Dietrich

Ihr Engagement entsprang keiner politischen Karriere, keiner Ideologie und keiner strategischen Selbstinszenierung – sondern einem radikalen Anstand. Diese Logik wiederholte sie später in Interviews unmissverständlich. Auf die Frage, warum sie Antifaschistin sei, antwortete sie knapp: „Aus Anstand.“ Und zur Frage des Heldentums: „Erfordert es Mut, Stellung zu beziehen? Nein.“ Für Dietrich war Widerstand gegen Unrecht nicht heroisch, sondern das Mindeste.

Sie lehnte auch jede Entschuldigung ab, das deutsche Volk sei „getäuscht worden“. Ihre Kritik war scharf, aber getragen von der Forderung nach Verantwortung: „Aber fast alle wussten, was vor sich ging. Wie konnte man denn übersehen, dass es Konzentrationslager gab? […] Haben die Deutschen das nicht gesehen? Haben sie keine Fragen gestellt? Was geschah mit den Menschen, die die Polizei abführte und die man nie wiedersah?“

Ihr Einsatz für die Alliierten war eine bewusste Entscheidung für die Freiheit. In den jungen amerikanischen Soldaten sah sie die eigentliche Opferbereitschaft: Menschen, die für eine Sache kämpften, die nicht ihre eigene war, und die doch von ihnen höchste Hingabe forderte. Ihre Haltung blieb unerbittlich, selbst angesichts des Leids in Deutschland: „Wie sollte mein Herz zerreißen, als Hamburg bombardiert wurde, wenn es doch schon zerrissen war, als die Bomben auf London fielen. Ich war auf der Seite der Unschuldigen, sie mussten gewinnen.“

Das Echo der Geschichte und der Schmerz der Heimkehr

Nach dem Krieg wählte Marlene Dietrich Paris und die USA als Lebensmittelpunkte. Ihre Rückkehr nach Westdeutschland ab 1960 als gefeierter Gast wurde von tiefen Rissen in der Gesellschaft begleitet. Während ihre Konzerte enthusiastisch bejubelt wurden, sah sie sich zugleich von Teilen des Publikums als „Vaterlandsverräterin“ beschimpft und sogar bespuckt. Diese Kälte in der alten Heimat traf sie – aber sie brach sie nicht.

Angesichts der fortwährenden Anfeindungen blieb Dietrich in ihrer Haltung zur deutschen Schuld unerbittlich. Zur Frage der Versöhnung zog sie eine klare moralische Grenze:

Deutschland zu verzeihen sollte denen vorbehalten sein, die unter Deutschland gelitten haben.
Marlene Dietrich

Ungeachtet der Anfeindungen setzte Dietrich ihre humanistische Mission fort. Ihr mutiges Auftreten in Israel in den 1960er Jahren zeugte von dieser ungebrochenen Verpflichtung. Dort sang sie Antikriegslieder – darunter auch eine deutsche Fassung von Pete Seegers Where Have All the Flowers Gone –, zu einer Zeit, in der die deutsche Sprache in Israel offiziell gemieden wurde. Es war ein tief bewegendes Zeichen der Menschlichkeit: kein Vergessen, keine Verharmlosung, sondern ein Angebot zur Begegnung über den Abgrund der Geschichte hinweg.

Bis ins hohe Alter engagierte sich Dietrich für die Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Ihre Gedanken zu Moral, Krieg und Exil wurden 1984 im oscarnominierten Dokumentarfilm Marlene von Maximilian Schell eindrucksvoll festgehalten. Ihr späterer Einsatz für die juristische Aufklärung – belegt durch ihren Austausch mit Aktivistinnen und Aktivisten wie Beate Klarsfeld – zeigt, dass ihr Prinzip des Anstands weit über ihre eigene Lebenszeit hinausragte.

Das bleibende Vermächtnis: Kunst, Gewissen und Aufarbeitung

Marlene Dietrichs Karriere demonstriert, dass künstlerisches Genie und moralisches Rückgrat untrennbar sein können. Ihre filmische Leistung wurde nicht durch das Exil gebremst, sondern durch ihre Haltung geerdet und mit neuer Tiefe versehen. Glamour war für sie nie bloße Oberfläche, sondern ein Werkzeug: verführerisch, sichtbar, unangreifbar – und damit politisch.

Diese moralische Tiefe zeigte sich auch in ihren späten Rollen. In Stanley Kramers Das Urteil von Nürnberg (Judgment at Nuremberg, 1961) spielte sie die Frau eines angeklagten NS-Richters. Diese Rolle zwang sie – entgegen ihrer eigenen antifaschistischen Biografie – die Perspektive einer deutschen Frau einzunehmen, die das System mitgetragen hatte. Die Darstellung dieser Ambivalenz wurde zur filmischen Forderung nach einer Auseinandersetzung mit der individuellen Mitschuld. Auch hier verband sich ihr künstlerischer Mut mit ihrer Überzeugung: „Wie konnte man denn übersehen, dass es Konzentrationslager gab?“

Ihr späterer Einsatz für die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen zeigt erneut, dass ihr Prinzip des Anstands eine lebenslange Praxis war. Die Diva des Exils bleibt eine Ikone der Kunst und des Gewissens – und ihr Leben ein leuchtendes Zeugnis gegen Faschismus und Antisemitismus, Opportunismus und moralische Gleichgültigkeit.

 

Dieser Beitrag ist Teil der Kampagne „Glanz und Widerstand“, die im Rahmen des Förderprogramms zur Bekämpfung von Antisemitismus in Berlin realisiert wird. Wir danken der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt für die Unterstützung, die es uns ermöglicht, Dietrichs Erbe der Zivilcourage und des Anstands sichtbar zu machen.

Anna Ramskogler-Witt
Artistic Director

Anna, Mitbegründerin und künstlerische Direktorin der Dokumentale, liebt gute Dokumentarfilme und Sachbücher als Wissens- und Unterhaltungsquelle.

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